Rauch empfängt Gläubig und Covi in seiner Politshow. Herr Gläubig betritt die Bühne. Zurückhaltender Beifall im Publikum. Was wird jetzt kommen? Die Gäste im Studio spenden den abgesprochenen Begrüßungsbeifall. Das Licht im Studio ist gedimmt. Ein Scheinwerfer erhellt Rauch, der medias in res seine Befragung beginnt: „Wollen wir einmal sehen, ob Sie das Grundgesetz genauso gut kennen, wie Sie es schützen, Herr Gläubig. Herr Gläubig, sind Sie bereit? Vielleicht noch einen Schluck, der Regenwald wird es ihnen danken... Dann eben nicht. Also, Herr Gläubig, was steht im Artikel 151 des Grundgesetzes in der Fassung vom 23. Mai 1949? Das ist heute unserer 1-Millionen-Frage! Falls Sie den Joker benutzen wollen, so steht ihnen heute Herr Covi zur Verfügung!“.

„Das war nicht abgesprochen. Meine Leute haben mir andere Fragen gemailt. So what!??!“, murmelt Gläubig vor sich hin. Er ist stinkesauer über Rauch, dass er ihn in der Öffentlichkeit derartig vorführen will. Am liebsten wäre er aufgestanden und gegangen. Aber er ist ein Steher, ein Sitzenbleiber, ein Aushalter, einer, den man nicht so leicht an den Karren fährt. Die Frage geht entschieden zu weit. Soll er, Chef des Bundesverfassungsschutzes, etwa das Grundgesetz auswendig lernen wie ein ultraorthodoxer Jude die Thora? Aber was, wenn er keine Antwort geben kann? Man wird sich über ihn lustig machen. Verfassungsdilettant schützt Verfassung. Das Gläubig-Prinzip. Er malt sich mögliche Schlagzeilen in der Boulevard-Presse aus. Die hat er bisher nicht überwachen lassen.

Die Kamera schwenkt vom schweißgebadeten Gesicht Gläubigs über den teilnahmslos wirkenden Rauch ins Publikum. Dort sitzt tatsächlich der Joker, Herr Covi, und verzieht keine Mine. Er ist still, wohl wissend, dass er nur dann etwas sagen soll, wenn er von Gläubig zur Hilfe gerufen wird. Er hält sich an abgesprochene Regeln, auch wenn die Situation sie überflüssig machen.

Die Kamera hält mitten ins Publikum. Wir sind mit dem NSU gekommen, steht auf einem T-Shirt und eine große braune 18 auf einem anderen. Bevor der Zuschauer zu Hause am Gerät auch noch Paulchen Panther zu sehen bekommt, stammelt Herr Gläubig ins Mikrophon: „Den Joker bitte!“. „Ihr Auftritt, Herr Covi“, lässt Rauch den interessierten Fernsehzuschauer wissen. Kameraschwenk auf das Gesicht von Covi. Großaufnahme. Stille. Was wird er sagen und wie wird er es sagen. Herr Rauch ist gespannt, Herr Gläubig ist entspannt, das Publikum im Studio ist mucksmäuschenstill. Aber Covi sagt nichts. Er scheint zu überlegen. Weiß er, dass das Grundgesetz in der Fassung vom 23. Mai 1949 nur 146 Artikel hat? Dann bricht es aus ihm heraus:“ Die ganze Gesellschaft ist auf dem rechten Auge blind. Ich bleibe keinen Augenblick mehr hier. Sie verhöhnen das Grundgesetz. Mir reicht's!“ sagt es und verschwindet aus dem Studio.

Rauch kommentiert den Abgang mit: „Das ist sein gutes Recht. Schade nur, dass Herr Gläubig keinen Joker mehr hat. Aber die Sendezeit ist gerade zu Ende gegangen. Freuen Sie sich auf die Tagesthemen mit ...“.

Ich schalte den Fernseher ab. Was, frage ich mich, wenn Antikapitalismus schon ausreicht, um als Verfassungsfeind zu gelten? Ist der Verfassungsschutz nichts anderes als eine von den anderen Parteien betriebener Apparat, um die Gleichung Antikapitalist=Kommunist=Verfassungsfeind weiter Geltung zu verschaffen. Die CDU/CSU scheint in dieser Hinsicht sehr aktiv zu sein. So wie die SED damals, als alle möglichen Menschen überwacht wurden, weil sie Böses von ihnen erwartete.

Mir kommt plötzlich alles wie der amerikanische Vorwahlkampf der Republikaner vor. Mitt Romney gibt in seiner Steuererklärung zu, dass er nur ca. 15% Steuern zahlt. Sein angeblicher Widersacher, Newt Gingrich, nutzt das aus, um seinen Konkurrenten in der Öffentlichkeit unglaubwürdig erscheinen zu lassen und selbst als Präsidentschaftskandidat seiner Partei zu glänzen. Doch beide wollen die Kapitalertragssteuer abschaffen, damit sich Leistung eben wieder lohnt und die Privatvermögenden in mehr Jobs in der Realwirtschaft investieren. Doch wer würde das einem Mitt Romney noch glauben? Dann doch lieber Newt Gingrich, der sein Geld mit eigener Hände Arbeit als Politiker, Autor und politischer Berater verdient

So kann sich Mitt Romney prima hinter Newt Gingrich verstecken, um sein persönliches Ziel der Steuerfreiheit für Kapitalerträge zu erreichen. Und der Innenminister kann sich prima hinter dem Antikommunismus verstecken, um sich schützend vor eine Behörde zu stellen, die wie das Auswärtige Amt in der jüngsten Vergangenheit eine sehr intensive Nazivergangenheit aufzuweisen hat. "Sie können schmutziges Wasser nicht wegschütten, wenn sie noch kein frisches haben." Das wusste schon Konrad Adenauer.

© GOO, Januar 2012

 

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