Es ist dieses helle Grau, das mich umschließt und das ich in mir eingeschlossen habe. Das die Bilder erzeugt, von den Straßen mit den Häuserfronten, die nie enden wollen, von den Straßenbiegungen, die ich nie erreichen werde, von Häuserecken, die den Himmel berühren und in dieses helle Grau hineinragen wie in einen Horizont. Es ist diese Stimmung von Gesterntagen, die in der Erinnerung Platz nehmen und das Morgengrau ankünden, das mit Stürmen anfängt, die die Fensterläden zuschlagen lassen und sintflutartigen Regen folgen lässt, der die Straßen in Flüsse verwandelt, begleitet von Blitzen, die den Himmel zerschneiden, und ein Geräusch in die Gehörgänge des Beobachters einstanzen, während Hagelkörner die ungeschützten Fenster zerschlagen. Es ist so, wie das Grau es sagt, es ist so, wie das Grau es in diese Welt setzt, nach einer Konstruktion, die mit geometrischer Genauigkeit das Leben zirkelt und lotgerecht auf den Boden projiziert. Es ist eben so, auch wenn viele Menschen es nicht wahrhaben wollen, dass die Häuserfronten in sich einstürzen und neue Häuserfronten hinter sich aufbauen. Dass Raketen in den Himmel geschickt werden, weil der Platz auf der Erde zu eng geworden ist, für ein Abenteuer, weil hier eben dies Grau den Tag diktiert und nicht das andere, was es sein könnte, aber was es nicht sein will.

Das Grau ist da, spontan und für eine Sekunde ein Gefühl, das ich nicht festhalten kann und das unmittelbar Bilder in mich hinein projiziert. Da ist der Geruch des Graus, der mich an den Geruch von Weihnachtsgebäck erinnert, ein Geruch, der das Haus eingenommen hat, wenn meine Mutter zur Tat schritt. Dieser Geruch erfüllt den Raum, den Grauraum sozusagen, in dem ich liege und den ich nicht verstehe. Da ist der Geschmack des Graus, den ich im Mund habe und der mir den Rotkohl mit Klößen vorgaukelt, als hätte ich gerade gegessen. Aber das Grau lässt mich allein mit mir, so wie damals, als ich Mondlandung gespielt habe, eine Gegensprechanlage war die einzige Verbindung zur Erde. Der Graugeschmack und der Graugeruch sind auch in dieser Öde vorhanden. Nein, die Öde ist es, in der ich stehe, die eine Grauwand zwischen mir und der Welt errichtet hat. So wie ich im Bett liege und die Straßenbahn draußen vorbeifahren höre, leer, keine Fahrgäste mehr, leer, kein Mensch mehr auf der Straße, leer alle in ihren Betten, eingekuschelt, schlafend oder allein auf der Autobahn, in der dunklen Nacht eben, nur der Lichtkegel des Scheinwerfers, der in die Nacht etwas Helles wirft, das nur einen Asphalt widerspiegelt und leer eben, so ist das Grau zwischen mir und der Welt, so ist das Grau, das in meinem Kopf, das ein Gefühl aufkommen lässt, für ein paar Sekunden eben, das ich nicht beschreiben kann, nein, es ist anders, es ist nicht diese Fahrt auf der Autobahn in der Dunkelheit, nein, es ist die Fahrt durch die Cevennen in der Dunkelheit, mit den engen Straßen und den vielen Kurven, die die Aufmerksamkeit auf den Lichtkegel lenkt, der den Weg für ein paar Meter anzeigen kann, gerade ausreichend, um bei der Geschwindigkeit nicht aus der nächsten Kurve herausgetragen zu werden. Nein, es ist noch mehr. Es ist die Frau, die neben mir schläft und die Kinder auf dem Rücksitz, die schon lange eingeschlafen sind und durch die Fliehkraft bewegt werden, durch sonst nichts. Ja, das ist dieses Grau, das mich in einen Mittelpunkt stellt, den ich auszufüllen habe, die Aufgabe, der Schutz, das ist das Grau auch und nicht nur die Hauswandecke, die menschenleer den Blick auf einen Balkon freigibt. Ja, ich glaube, nein, ich bin geradezu davon überzeugt, dass das Grau in meinem Kopf ist, dass es meinen Kopf ausfüllt, wenn ich da liege und dieses Gefühl eben nicht festhalten kann.

Das Grau meint es vielleicht gut mit mir. Es begleitet mich durch den Tag. Es gibt mir eine breite Straße zu erkennen, die links und rechts und an der Kopfseite mit Häuserwänden zugestellt ist, als wäre das Ganze nur ein Zimmer in einer größeren Wohnung. Das Grau sitzt mit mir am Frühstückstisch und bricht mit mir das Brot und trinkt mit mir den schwarzen Kaffee. Es begleitet mich auf meinen Spaziergängen durch den Novemberwald und auch zum Lebensmittelgeschäft gegenüber. Dort legt es sich auf die Regale, die prall gefüllt sind mit Schokolade, Kuchen, Marmelade, Käse, Wurst, und es friert in den Tiefkühltruhen, die vor Fisch und Fleisch überzulaufen scheinen. Sobald ich an der Kasse stehe und bezahlen möchte, macht das Grau sogar Scherze und legt sich auf die Reiseangebote, die auf Plakaten stehen. Das Grau macht sich lustig darüber, weil es sich ganz sicher ist, dass man es so nicht loswird und ich zahle schnell und laufe über die Straße, wohin, ich weiß es nicht, weil das Grau sich vor mich gestellt hat und mir den Zugang zum Haus verwehrt.

Die Hoffnung, doch noch einmal Fuß zu fassen, ist nicht verschwunden. Jedes Angebot wird geprüft und es wird gehofft, dass es wahr werde. Aber das Grau füllt die Zeit mit seinen Bildern. Es sind die Bilder der Vergangenheit und der Gegenwart, die jetzt die Zukunft zuschütten. Da ist das Grau in meinem Kopf zu Hause. Es will nicht dort hin. Nein, es kommt von dort. Es sagt zu mir: Du brauchst mir nicht zu folgen, denn das ist deine Zukunft. Es sagt zu mir: Du kannst nichts dagegen tun, denn das ist deine Zukunft. Die kannst du nicht ändern, es sei denn, du schließt einen Vertrag mit mir. Ich bekomme dich so oder so, aber ich kann dich für eine Zeit loslassen. Dann bin ich nicht mehr bei dir in deinem Kopf. Das sagt es zu mir.

In letzter Zeit bin ich Nachmittags immer in einem Café. Es liegt nicht weit weg von meinem Haus und hat erst kürzlich eröffnet. Es hat graue Wände, die durch Bilder in allen möglichen Grautönen geschmückt sind. Die Tische sind grau und die Kaffeetassen ebenfalls. Die Menschen sitzen an den grauen Tischen allein in ihren grauen Anzügen oder Kostümen. Kinder spielen in der Spielecke mit grauem Spielzeug. Der Kellner trägt ein graues Hemd und spricht grau zu den Gästen. Hier will ich herausfinden, was dieses Grau in meinem Kopf ist. Ich kann es nicht benennen und auch nicht beschreiben, wie es ist. Ich kann nur sagen, dass es ist. Ich will es wissen. Endlich Heureka! ausrufen. Deshalb gehe ich jetzt immer regelmäßig in das Bistro le Cafard. Aber ich frage mich, ob das überhaupt einen Sinn macht. Dann soll es eben bei mir bleiben, dann brauche ich ihm nichts zu verkaufen. Dann bin ich nicht abhängig von diesem blöden Grau. Bleib in meinem Kopf. Du bist alles, was ich habe, heuchle ich und lebe mit ihm. Es lässt sich ertragen. Angst vor ihm habe ich nicht. Ich glaube, es gehört zu mir. Manchmal ist es stärker oder überfällt mich in den unmöglichsten Situationen. Dann denke ich nur: ach, da bist du ja wieder. Aber jetzt ist es auch genug, jetzt kannst du gehen. Ich werde dich nicht vergessen, du brauchst dich nicht immer in Erinnerung zu rufen.

Aber so leicht lässt sich das Grau nicht verbannen. Unter den Teppich Gekehrtes tritt plötzlich hervor und der Staubsauger kann es nicht richten, zu viel Dreck hat sich im Laufe der Zeit dort versteckt, wo man ihn nicht sieht oder nicht sehen will. Aus den Augen in das Grau und dann aus dem Grau in die Augen. Da ist es nicht leicht, ruhig und gefasst zu bleiben. Das Grau wühlt auf, es macht mich so wie ich nicht bin und wie ich nicht sein will und anschließend zieht es sich in eine Ecke zurück, in der ich mich wohlfühle, weil ich nicht genau erkennen kann, was in den anderen Ecken ist, weil ich nicht verstehen kann, warum ich so zufrieden bin, weil ich es nicht erfassen kann, dieses Grau, was sich immer wieder meldet in allen möglichen Situationen unverhofft, ja, das kommt oft so wie dieses Grau. 

 

© GOO, November 2013

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