Bitburg. Schlusswort der Angeklagten

 

In 5 Tagen, am 8. Mai, jährt sich der Tag der Kapitulation bzw. Befreiung bzw. des Zusammenbruchs - je nach Tendenz des Einschätzenden- zum 40. Mal. Ein denkenswerter Tag. Ein Tag zum Nachdenken.

In zwei Tagen wird daher hier in Bitburg, auf dem Soldatenfriedhof Kolmeshöhe ein Ereignis stattfinden, das in öffentlicher wie privater Diskussion, national wie international bereits, seiner historischen Relevanz entsprechend, gewürdigt wurde. Auf die Berechtigung bzw. Fragwürdigkeit der anstehenden Performance auf einem Soldatenfriedhof, auf dem u.a. SS-Leute begraben sind, möchte ich nicht näher eingehen. Ich empfehle hierzu die Lektüre von "Zeit", "Spiegel" und "Newsweek" von dieser Woche (18.KW 85.) Sogar die Bildzeitung vom 29.4. als vertrautestes Presseorgan des Bundesbürgers äußerte sich diesmal abwägend kritisch.

Im Zusammenhang mit meiner persönlichen aktuellen Situation ist hier jedoch von besonderem Belang, Bezug zu nehmen auf die Todesdaten jener Soldaten, zumindest, soweit ich diese auf Pressefotos erkennen konnte: Sie starben im Oktober 1944, wurden getötet in der wie immer auch verstandenen sogenannten Pflichterfüllung unter einem menschenverachtenden System in genau dem Monat, in dem ich geboren wurde. Und - wie diese Welt aussah, in die ich da im Oktober 44 hineingeboren wurde, wissen die Anwesenden hier im Gerichtssaal sehr wohl. Vorausgesetzt natürlich, ihre Geschichtslehrer kamen im Unterricht je so weit. Für mich persönlich ebenso von Belang wie even­tuell für die Motivforschung derjenigen, die heute zu Gericht zu sitzen haben über meine sogenannte Straftat, erscheint mir, daß mein Vater, Kommandant eines U-Bootes, meine Geburt nicht mehr miterleben konnte, da er fast genau einen Monat zuvor den Tod gefunden hat. Er hat den Tod gefunden, sagte ich - gesucht hat er ihn gewiß nicht. Ich sage auch nicht, wie das so üblich ist, er sei "gefallen". Lassen wir solche Euphemismen doch endlich beiseite: In Kriegen verreckt einer oder wird zerfetzt oder er säuft ganz erbärmlich ab. Zu beschönigen gibt es da doch wohl nichts.

Aus dieser etwas ausführlichen Einleitung werden Sie eventuell schließen können, daß ich zum Krieg bzw. zum Terminus "Heldentod"eine quasi angeborene persönliche Beziehung habe.

 

 

Ich halte es für müßig, vor Menschen, die mir - und dies setze ich vorurteilsbeladen - hier voraus, ideologisch wie menschlich wenig gewogen sind, mein Seelenleben auszubreiten. Nach meinen bisher im Laufe eines intensiven per­sönlichen Engagements für Frieden und Wahrung von Menschenrechten gemachten Erfahrungen (z.B. polizeiliche Observierung, Anfertigen von Fahndungsfotos, Videofilmen, Fingerabdrucknahme wie Leibesvisitation an jenem 2.9.1983, um den es hier geht) gehe ich nunmehr davon aus, daß ein derartiges "Aufknöpfen" vielmehr der Komplettierung meines Persönlichkeitsbildes bei LKA und BKA dienen wird als einer in meinem Sinne gerechten Beurteilung, d.h. einem Freispruch.

Sie werden mir gestatten, daß ich Ihnen stattdessen einen kurzen Abschnitt aus dem Buch "Die letzten Kinder von Schewenborn" von Gudrun Pausewang (Verlag Otto Maier, Ravensburg) zitiere:

 

"Mein Vater hat sich nach dem Bombentag sehr verändert. Er ist schweigsam geworden. Einmal, kurz nachdem er mit dem Unterrichten angefangen hatte, warf ihm ein Junge, der ein vernarbtes Gesicht hatte - inzwischen ist er elend an der Strahlenkrankheit gestorben -, die Kreide ins Gesicht und schrie: "Sie Mörder, Sie!" Die anderen Kinder hatten ihn entsetzt ange­starrt, aber mein Vater hatte sofort begriffen, was der Junge gemeint hat. Seitdem schläft er nicht mehr gut. Er stöhnt oft in der Macht. Manchmal schaut er mich so an, als warte er darauf, daß ich ihn auch "Mörder" nenne.

Aber was ändert es, wenn ich ihm vorwerfe, daß er und fast alle Menschen seiner Generation in den letzten Jahren vor dem Bombentag untätig und seelenruhig zugeschaut haben, wie die Vernichtung der Menschheit vorbereitet wurde? Daß er immer die dumme Ausrede zur Hand hatte: „Was können w i r daran ändern?" und nicht müde werden, darauf hinzuweisen, daß solche Waffen gerade durch ihre Entsetzlichkeit den Frieden garantierten7 Daß ihm wie den meisten anderen Erwachsenen - Bequemlichkeit und Wohlstand über alles gingen? Daß er - und sie alle - wohl die Gefahr wachsen sahen, aber sie nicht sehen wollten?

Einmal fragte ihn ein Mädchen aus seiner Klasse: "Haben denn Sie irgendetwas für den Frieden getan?" Da hat er nur den Kopf geschüttelt. So konnte ich wenigstens seine Ehrlichkeit achten. Aber je älter ich werde und je länger ich über diese ganze Sache nachdenke, um so mehr gebe ich Andreas recht: Verfluchte Eltern, aber auch: Verfluchte Großeltern! Sie hätten wissen müssen, was da heraufbeschworen wurde, denn sie hatten erfahren, was Krieg ist - wenn i h r Krieg auch ein fast harmloser Vergleich zu unserem Bombentag gewesen ist."

 

(Dies Zitat habe ich einer Privat-Anzeige aus der Osterausgabe der Freiburger BZ, 6.4.1985, entnommen)

 

Hier habe ich also den Versuch unternommen, Ihnen wie auch denjenigen, die ähnlich empfinden wie ich, darzulegen, w o meine Ängste liegen, wie meine Motivation zu begründen ist, ein symbolisches Zeichen gesetzt zu haben (wie Inge Jens dies unlängst ausdrückte - Spiegel 5/85), um "somit Menschen zu differenzierterem Nachdenken zu veranlassen über Gefahren, denen, wenn übe­haupt, nur durch radikales Umdenken zu begegnen ist". Frau Jens ist es auch, die mit mir weiter zu bedenken gibt, ob es wirklich Nötigung sein kann, wenn sie/ich in Mutlangen/Bitburg "strikt gewaltlos, nicht etwa gegen Feinde, sondern für Ausweitung einer Diskussion mit Menschen agier(t)e, von denen sie/ich annimmt/annehme, daß sie so gut wie primär und unter allen Umständen Frieden wünschen."

 

Selbst der amerikanische Abrüstungsexperte C.P. Warnke äußerte sich folgendermaßen: "Wäre ich Europäer, mit Händen und Füßen würde ich mich gegen die Installierungen der abschreckungsfeindlichen, weil den Krieg regionalisierenden' Pershing II wehren" (Zit.nach W. Jens, FR vom 1.2.1985, S. 14)

 

Auf den Heilbronner Pershing-Unfall von Anfang des Jahres muß ich vermutlich gar nicht erst Bezug nehmen, um auf die Fragwürdigkeit des zur Diskussion stehenden sogenannten Verteidigungsinstrumentariums hinzuweisen.(Ich setze voraus, daß das Gericht Zeitung liest.)

Begonnen habe ich diese Ausführungen eigentlich mit dem Hinweis auf den nun anstehenden 40. Jahrestag der Kapitulation bzw. Befreiung bzw. des Zusammenbruchs - je nach Tendenz des Einschätzenden.

Ich überlasse es nunmehr dem Kombinationsvermögen, der Vorstellungskraft und auch dem moralischen Bewußtsein derer, die heute über mich zu urteilen haben, Verbindungen herzustellen zwischen dem oben zitierten Kinderbuchtext, also: einer Fiktion und einer inzwischen durchaus absehbar gewordenen Realisierung dieser Fiktion mit der Bedeutung des zu begehenden Jahrestages.

Vollziehen Sie bitte einen Augenblick lang mit mir die Vorstellung, oben auf der Kolmeshöhe stünde übermorgen zum Beispiel ein Bert Brecht, der aus gegebenem Anlaß seine im Jahre 1952 gehaltene 'Rede für den Frieden'1 wiederholte. Das lautete dann so:

 

"Das Gedächtnis der Menschen für erduldete Leiden ist erstaunlich kurz. Ihre Vorstellungsgabe für kommende Leiden ist fast noch geringer. Die Beschreibungen, die der New Yorker von den Greueln der Atombombe erhielt, schreckten ihn anscheinend nur wenig.(...) Die weltweiten Schrecken der vierziger Jahre scheinen vergessen. Der Regen von gestern macht uns nicht naß, sagen viele.

Die Abgestumpftheit ist es, die wir zu bekämpfen haben, ihr äußerster Grad ist der Tod. Allzu viele kommen uns schon heute vor wie Tote, wie Leute, die schon hinter sich haben, was sie vor sich haben, so wenig tun sie dagegen.

Und doch wird nichts mich davon überzeugen, daß es aussichtlos ist, der Vernunft gegen ihre Feinde beizustehen. Laßt uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen, damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde! Laßt uns die Warnungen erneuern, und wenn sie schon wieder Asche in unserem Mund sind! Denn der Menschheit drohen Kriege, gegen welche die vergangenen wie armselige Versuche sind, und sie werden kommen ohne jeden Zweifel, wenn denen, die sie in aller Öffentlichkeit vorbereiten, nicht die Hände zerschlagen werden."

 

Brecht hielt diese eindrucksvolle Rede also ca. 4 Jahre vor einer Remilitarisierung der Bundesrepublik. Und, falls Ihnen der letzte zitierte Satz zu militant und daher suspekt erscheinen mag, so erinnere ich daran, daß ein heute besonders renommierter, der Regierungspartei angehörender Politiker einst mit Pathos das große Wort sprach: "Wer in diesem Lande noch einmal ein Gewehr zur Hand nimmt, dem soll die Hand abfaulen!" Zynisch kann ich hierzu nur anmerken, daß heute tatsächlich ein einziger Knopfdruck genügt... Aber so vorausschauend kann Franz-Josef Strauß damals nicht gewesen sein.

Wenn Sie es also mit Ihren Moralvorstellungen vereinbaren können, mich heute dafür zu bestrafen, daß ich am 2.9.1983 meinem bedingungslosen Friedenswillen noch vor der Stationierung der Raketen - durch ein friedliches Sit-in gemeinsam mit anderen -ja, Gottseidank, gemeinsam mit anderen! - auf der Straße vor der Bitburger Airbase (die ohnehin großräumig abgesperrt war) Ausdruck gegeben habe, wenn Sie es mit ihrem Rechtsbewußtsein in Einklang bringen können, mich in der Ihnen bekannten Vorgehensweise durch den Polizeiapparat dafür kriminalisiert zu wissen, wenn Sie es also verantworten wollen, durch eine - wie immer auch ausfallende – Bestrafung meines "Vergehens", das, und ich betone dies noch einmal, Ausdruck meines aufrichtigen Friedenswillens war, wenn Sie also nach Abwägung der Voraussetzungen, meiner Argumentation wie der parteibuchunabhängigen, realen politischen Einschätzung des Strafvorwurfs bei der Ansicht bleiben, ich sei eine Gewalttäterin, so kann ich Sie nicht daran hindern, mich entsprechend zu verurteilen.

Ich jedenfalls bin mir keiner Schuld bewußt.

 Bitburg, den 3.5 1985

 

 

 Zusammenfassendes Protokoll des Gerichtsschreibers:

"Die Angeklagte wurde befragt, ob sie selbst noch etwas zur Verteidigung anzuführen habe. Sie erklärte: Das war ein Ausdruck meines aufrichtigen Friedenswillens.  Ich bin mir keiner Schuld bewußt."

 

 

 

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