In der Kastanienallee gibt es viele Bäcker, Cafés, Schnellrestaurants und Geldmagneten, die das Straßenbild zunehmend verändern. Mein Bäcker liegt unmittelbar am Rosenthaler Platz. Da, wo sich die Straßenbahnlinien kreuzen, nicht weit weg ist der „Rosenback“. Eine deutsch-türkische Bäckerei, heute; wer früher das Geschäft führte, bleibt mir verborgen. Vielleicht frage ich einmal. Ein paar Wochen werde ich jedenfalls noch brauchen, bis mich alle in der Bäckerei kennen und jeder meinen Kaffeekleinwunsch kennt, sobald ich das Geschäft betrete.
Lächle die Welt an, dann schenkt sie dir ein Lächeln zurück. So lautet ein orientalisches Sprichwort. Warum die Verkäufer oder Verkäuferinnen im Rosenback immer freundlich sind – mir ist es jedenfalls bisher so ergangen, weiß ich nicht. Vielleicht liegt es ja an mir. Bei dieser Vorstellung möchte ich es einmal belassen. Schließlich fühle ich mich geschmeichelt, wenn es da Einen oder Eine gibt, die mir freundlich begegnet.
Rechts am Eingangsbereich ein Geldautomat. Davor ein Tisch, an den ich mich nur dann setze, wenn alles andere schon besetzt ist. Warum? Der Geldautomat fordert die Indiskretion heraus, darum. Aber nicht immer lässt es sich vermeiden, und so werde ich Zeuge einer Debatte zweier schwäbisch sprechender Frauen, die sich nur noch überlegen müssen, ob beide einen Betrag abbuchen und sich die hohen Gebühren von 7 € anschließend teilen oder aber zum nächsten Automaten gehen sollen, bei dem die Gebühren niedriger sind.
Das Rosenback liegt unmittelbar an der Haltestelle der Straßenbahn M1, die ich jeden Tag nehme, um zur Arbeit zu fahren. Hier mache ich meinen, inzwischen schon zur festen Gewohnheit gewordenen, ersten Zwischenhalt, um mir den Kaffeeklein zum Mitnehmen zubereiten zu lassen. Es ist ca. 6:45 Uhr, und vor mir müssen schon etliche Kleinkaffeetrinker gewesen sein, weil der Behälter für den Kaffeesatz schon fast voll ist. Als guter Kunde bekomme ich inzwischen den Kaffee an der Kasse serviert, was für mich den Vorteil hat, nicht nach dem Bezahlen wieder zurück gehen zu müssen, um den bereitgestellten Pappbecher mit dem die Lebensgeister weckenden Getränk in Empfang zu nehmen. Ich trinke den Kaffee schwarz, ohne Milch und Zucker. Auch das hat sich inzwischen herumgesprochen. Deshalb dieser aufmerksame Zusatzservice.
Freitags bin ich oftmals gegen 14:30 zum zweiten Mal im Rosenback. Dann ist auch der Junge mit der Mundharmonika da. Der Musik nach muss er aus dem Westen kommen. Er spielt etwas, was ich aus Winnetou-Filmen kenne. Kleinkino in einer Kleinstadt für die Kleinen, so waren damals meine großen Träume. Nach dem Kino wurde mit den wehmütigen, die weite Welt verheißenden Klängen der Filmmelodie im Kopf, die Gerechtigkeit, das Gute eben, als Kleiner im Kleinen nachgespielt. Heute, mit dem entsprechenden Abstand, kommen mir diese Filme zeitweise wie ein Kindesmissbrauch vor, der meine Anpassungsfähigkeit an eine eher materialistisch orientierte Welt, so will ich sie vorerst nennen, in hohem Maß beeinträchtigt hat.
Wie lange wird es das Rosenback noch geben?, geht mir durch den Kopf, während ich dies schreibe. Schließlich hat das Kapital der Investoren in der Kastanienallee schon viele Objekte der Begierde gefunden. Und es ist immer noch auf der Suche.
© GOO, Mai 2011