Das Zeitfenster
Vorstellung ausverkauft! Das hören Veranstalter gern. Die Ausstellung war ein voller Erfolg! Das berichtet man stolz in der Abendschau. Berlin – die Kulturhauptstadt Europas! Ja, das ist doch was, oder? Als sichtbarer Beweis werden dem Zuschauer die meterlangen Warteschlangen vor den Museen präsentiert. Nicht so im Neuen Museum auf der Museumsinsel. Niemals wird die Abendschau anstehende Menschenschlangen vor dem Museum zeigen können, wie zu früheren Zeiten, als man sich noch vorm Fleischerladen anstellen musste. Anstellen ist out! Vielleicht auch ein Geschäftsmodell für andere Unternehmen. Jedenfalls hätten die damals in der DDR auch auf die Idee mit dem Zeitfenster kommen können.
Das Zeitfenster ist kein gewöhnliches Fenster, das sich beliebig öffnet und schließt. Dafür kann man es im Internet buchen, Kreditkartenbesitz vorausgesetzt. An der Kasse hört man dagegen nur „10.00 Uhr“ oder „16.00 Uhr“. Derjenige, der dies erstmalig vernimmt, fragt sich, ob das Museum etwa zu diesem Zeitpunkt erst öffnet. Kommen Sie bitte etwas später, wird man zweisprachig auf der am Kassenhäuschen angebrachten Tafel informiert, damit Sie nicht so lange am Eingang warten müssen. Kein Wort von den Warteschlangen an der Kasse!
Ein Widerspruch in sich? Natürlich nicht! Die Steuerung von Besucherströmen in derartiger Manier ist ein planbares, mathematisch mit Wahrscheinlichkeitsrechnung beschreibbares Modell, dem eine Poissonverteilung zugrunde liegt. Also kommen wir etwas später, aber zu spät darf es auch nicht sein, weil sonst das Zeitfenster geschlossen wird und man dann dumm aus der Wäsche guckt.
Hier bewahrheitet sich die korrekte Übersetzung des englischen Begriffs „timeslot“. Schaut man in einschlägigen Wörterbüchern nach, wird man eines Besseren belehrt. Ein „slot“ ist ein „Einwurfschlitz“ in den gerade einmal eine Münze hineinpasst. „Kontaktschlitz“ ist ebenfalls eine gesicherte Übersetzung, die mir allerdings nicht so geläufig ist. Befinde ich mich etwa vor dem Eingang des Museums auf einem Kontakthof? Dessen Begrifflichkeit leuchtet mir dann eher ein.
Wie dem auch sei. Gepriesen seien die cleveren Köpfe, die sich dieses Verfahren ausgedacht haben. Dieser Mist, mit Verlaub, scheint jedoch nicht auf deutschem Boden gewachsen zu sein. Man halte sich nur an internationale Standards. Danach vernehme ich noch den Namen der Bundeskanzlerin und ich bin total verwirrt, weil ich nicht mehr logisch nachvollziehen kann, was die damit zu tun hat. Der desorientierte potentielle Museumsbesucher verlangt nach Aufklärung. Eine junge Frau , die sich als Beschwerdestelle entpuppt, lässt nicht lange auf sich warten. Im Diskurs mit der Museumsangestellten stellt sich heraus, dass all diejenigen Besucher, die im Besitz einer Jahreskarte für die Staatlichen Museen Berlins sind, eben nicht an den Zeitschlitz gebunden sind. Sie erhalten als Zugabe obendrauf den freien Eingang, so, wie man es von früheren Besuchen der Ägyptischen Abteilung im Alten Museum gewohnt war. Ungerecht findet der Besucher das nicht. Schließlich hat er einiges für seine Jahreskarte investiert. Weil er dies eine Mal aber mit einem auswärtigen Besucher Einlass begehrt, darf er dennoch warten. Und so beschließen beide, die zwei Stunden bis zum Einlass nicht zu warten und ihre bereits erworbene Karte des Besuchers am Kassenhäuschen zurückzugeben.
Eine Frohe Botschaft habe ich dennoch zu verkünden: Der Zeitschlitz gilt nicht für die anderen SMB. Hier hat man davon Abstand genommen. Doch was passiert, wenn das mit dem Zeitschlitz nur ein Versuch ist? Dann könnte es sein, dass vielleicht im nächsten Jahr alles durch die Schlitze muss, was sich in den SMB aufhalten will. Ich werde nachdenklich, weil ich solche Versuche zu Genüge kenne. Die werden bis zum Erbrechen schöngeredet, weil man angeblich nur das Wohlergehen der Besucher im Auge hat. Dann ist allerdings Schluss mit den Privilegien. Vielleicht müssen letztendlich auch die Jahreskarten dran glauben! Ich ahne Schlimmes!
Bevor ich mir aber von derartigen Horrorvisionen den Tag verderben lasse, mache ich den Versuch, dem Ganzen etwas Positives abzugewinnen. Allerdings bleibt es nur bei dem Entschluss. Ich halte Ausschau nach einem Zeitschlitz, der sich vor mir auftut und mich in eine andere, bessere Welt katapultiert. Sehr bald werde ich wieder auf den Boden der Realität zurück katapultiert. „Das ist hier eine Straße!“ höre ich einen genervten Autofahrer mit OE-Kennzeichen mir aus seinem heruntergekurbelten Autofenster zurufen. Entweder bin ich ihm zu langsam über die sehr breite Straße gegangen oder er hat den Witz mit dem Schlitz nicht verstanden.
Darf nicht mehr fotografiert werden!
Text: © GOO, Mai 2010
Bilder: © bio (Nofretete), GOO (Neues Museum)