Ein Theaterbesuch verändert denjenigen, der sich auf das Stück einzulassen bereit ist. Er kann zur Qual werden, wenn sich das Stück quälend fortbewegt oder der Zuschauer, von einem Gedankengewitter überrascht sich in die nächste ruhige Ecke verkriechen will. Oft ist der erste Eindruck bleibend, aber manchmal verändert sich die Sichtweise umso stärker, je mehr sich das Stück dem Ende zu bewegt.
Das Ende oder der Tod – gemeint ist nicht der physische Tod – ist sicherlich eins der großen Themen, die Frederico Garcia Lorca mit seinem Theaterstück: „Doña Rosita oder die Sprache der Blumen“ auf die Bühne bringt. In komödiantischer Form, denn sonst wäre es unerträglich, verkörpert durch die Haushälterin (gespielt von Carmen-Maja Antoni), kreist das Stück anfangs etwas zäh doch zum Schluss hin immer schneller um das Thema.
Doña Rosita, ein leicht erreichbares Opfer ihre Aufrichtigkeit, ihrer Gutgläubigkeit, ihrer Ehre, ist der Prototyp des LEO*, wie die Finanzmakler unserer Zeit diese Art von Menschen bezeichnen. Sie fällt auf die blumigen Versprechungen ihres Verlobten herein, der seine angeblich große Liebe zugunsten gesicherter Verhältnisse unter elterlicher Obhut in Südamerika fallen lässt. Wenn Doña Rosita am Ende des Stücks, das nach Aussage Lorcas mehr Tränen enthält als seine vorangegangenen Stücke, Bilanz zieht, kann das Urteil nur vernichtend sein. „Da geht die alte Jungfer. Bei der beißt keiner mehr an!“ wird ihr auf der Straße nachgerufen, und in ihr bleibt nur noch der Wunsch übrig, keinen Schritt mehr aus ihrem „Loch“ heraus zu tun. Das Resultat einer Hoffnung, die sie all die Jahre verfolgt hat.
Lorcas Absicht fällt beim Zuschauer zunächst auf Indifferenz. Dies Frauenbild passt nicht in unsere Zeit. Das Stück erzählt Gewesenes, hat nichts mit unserer Gegenwart zu tun. Die Wirkung des Stücks ist allerdings nicht an mir vorübergegangen. Im Gegenteil: Es hat eingeschlagen wie eine Bombe.
Es geht um uns, unsere Lebenslügen, die verpassten Gelegenheiten, das untätig Sein, die fehlende Zivilcourage, das fehlende Handeln, die Angst, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Und Lorca präsentiert uns die Rechnung. Zahlen können wir nicht, also werden wir uns dem Untergang hingeben. Das dies nicht nur für den Einzelnen gilt, wird sofort klar. Auch das Theater selbst hat sich lange genug Hoffnungen hingegeben. Da dessen Anspruch niemals eingelöst wurde, wird man – der Logik Lorcas folgend – einen grundlegenden Positionswechsel vollziehen müssen.
Und wie sieht es mit den Hoffnungen der kapitalistischen Welt aus? Hier wird uns ohne Umschweife vermittelt, dass wir uns keine Hoffnungen machen sollten. Somit bleibt nur noch Raum für Zynismus à la Prof. Dr. Ulrike Ackermann, Mitglied des publizistischen Netzwerks „Die Achse des Guten“, die feststellt, dass Demokratie ohne Kapitalismus und Freiheit ohne Krisen nicht zu haben seien. Doch warum sich mit diesen Blödheiten abspeisen lassen, auch wenn es mir noch gut geht, fragt sich der Theaterbesucher, der nicht so enden will wie eine alte Jungfer der Geschichte, nach dieser Aufführung.
*bankinternes Kürzel für: Leicht erreichbares Opfer
© goo, Juni 2009