„Die fast unlösbare Aufgabe besteht darin, weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen.“ (Theodor W. Adorno). Dieses Zitat soll der Wegweiser für den Leser sein, der sich auf Robert Musils1 Vortrag „Über die Dummheit“ einlässt. Musil hielt diesen Vortrag am 11.3. und 17.3.1937 in Wien auf eine Einladung des österreichischen Werkbundes. Dass der Eindruck erweckt wird, bestimmte Vorkommnisse ließen sich nur durch die Verblödung oder die Dummheit eines ganzen Volkes erklären, hat also eine lange Tradition und ist nicht erst durch das im März 2009 erschienene Buch von Thomas Wieczorek2 über „Die verblödete Republik“ mit dem Untertitel „Wie uns Medien, Wirtschaft und Politik für dumm verkaufen“ als ein Resultat eines gezielten Prozesses zu verstehen, sondern geht, im historischen Maßstab betrachtet, wesentlich tiefer. Allerdings setzt es voraus, dass der Prozess an einem Punkt begonnen hat, von dem aus betrachtet noch nicht von der Verdummung der Massen gesprochen werden konnte, sondern eher von der Befindlichkeit eines Volkes, die alle Möglichkeiten offen lässt.
Es ist schwierig für den Menschen, zwischen seinem Denken und seinem Handeln zu unterscheiden. Das größte Hindernis in dieser Hinsicht ist der viel beschworene Alltag, in dem beides so eng miteinander verknüpft ist, dass das jeweilige Subjekt nicht mehr zwischen beiden Sphären zu differenzieren vermag. So äußert sich die „unkünstlerische Verfassung“ eines Volkes in guten wie in schlechten Zeiten auf sehr rüde Art und Weise. Dies wiederum wird durch die Expertenmeinung verstärkt, die, dem Mainstream folgend, alles andere als Anmaßung und unnötige Belästigung auslegt. Wieczorek und Musil haben einen unterschiedlichen Bodensatz in der Geschichte vorgefunden, doch eint sie in ihrer Beurteilung die Erfahrung, dass nicht alles auf die Dummheit abzuwälzen sei. Der Raum für Charakterlosigkeit der unterschiedlichsten Arten muss ebenfalls noch Platz haben, um einen Prozess zu erklären, der für den Erklärenden eine Gratwanderung darstellt, ist er doch mit dem Prozess des Fortschritts, der Verbesserung oder der Hoffnung zum Verwechseln ähnlich.
Doch welche Indikatoren findet man bei der Erörterung einer so schwierigen Frage vor, was eigentlich die Dummheit ausmacht, und wie zuverlässig sind diese Indikatoren? Ist es etwa der Künstler, der sich sogleich unüberwindlichen Schwierigkeiten gegenüber sieht, wenn er nur die Augen aufmacht, weil sein kritisches Urteil in ein kaufmännisches umgewandelt wird? Dies würde sehr gut in unsere heutige Zeit passen, weil es die Perfidie derjenigen hinreichend erklärt, die sich heute als Politiker oder Ökonomen betrachten. Es hätte auch zu Musils Zeiten seine Berechtigung gehabt, liest man die Protokolle der Auschwitz-Lagerkommandantur, in denen mit obszöner deutscher Gründlichkeit über jedes noch so grausame Detail Buch geführt wurde.
Auf einen Unterschied wird man in beiden Büchern allerdings unmittelbar stoßen: Ging es Musil einst um die Frage, wie aus einer Nation der Dichter und Denker durch den gesellschaftlichen Verwurstungsprozess ein Land der Richter und Henker werden konnte, so wird man diese Nuance bei Wieczorek vermissen. Hier stellt sich nur die Frage, wie ein Volk durch gezielte Desinformation vor den Karren einiger gespannt werden soll, die ihm das Heil versprechen und dabei selbst schon so tief im Dreck stecken, dass es ihnen sichtbare Schwierigkeiten bereitet, zu rechtfertigen, wofür sie das Volk gebrauchen:nämlich für ihren persönlichen Vorteil.
© goo, Juni 2009
1 Musil Robert, Über die Dummheit. Ausg. Alexander Verlag Berlin 2001, 5. Auflage
2 Wieczorek, Thomas, Die verblödete Republik, Knaur Taschenbuch Verlag 2009