Dieter Forte: Martin Luther & Thomas Münzer oder die Einführung der Buchhaltung1
Ein Theaterstück, in dem das Kapital Regie führt, ist für den heutigen, aufgeklärten Menschen eher langweilig. Das kennt man schon zur Genüge: die ewig gleiche Leier, dass wir Menschen, auch die wir in einer Demokratie leben, letzendlich fremdbestimmt sind. Also: was hat uns Dieter Forte Neues anzubieten.
Ein Luther, der vom Kopf auf die Füße gestellt wurde, ist sicherlich für denjenigen eine Überraschung, der sich mit Religionsgeschichte nicht so gut auskennt wie z.B. ein märkischer Junker. Aber das Stück hat wesentlich mehr zu bieten: Eine Dienstleistungsgesellschaft par excellence. Den Herrn Fugger z.B., der dem golden Kalb Mammon genauso dient, wie die deutschen Fürsten und der deutsche Kaiser dem Fugger dienen, weil er ihnen ihre Macht finanziert. Luther, der Erfinder der treuen Unterwerfung in Arbeit und Demut, dient seinen Landesfürsten genauso wie das erste Deutsche Bauernparlament, dass sich 1525 in Heilbronn unter der Leitung von Wendel Hipler konstituierte.
So nimmt es nicht Wunder, dass in einer solch eindimensionalen Dienstbotengesellschaft diejenigen, die sich zu jener Zeit dem Menschen verpflichtet fühlten, wie zum Beispiel Erasmus von Rotterdam, schwiegen und auf bessere Zeiten zur Vermittlung ihres geistiges Guts hofften. Diejenigen aber, die das Land gewaltsam befreien wollten, wie zum Beispiel Thomas Münzer, mussten einfach an der Tatsache scheitern, dass die Vorstellung von freien Dienstboten per se ein Paradoxon ist.
Und dabei handelt es sich hier nicht einmal um eine Fiktion des Autors, der zu dieser Erkenntnis nur gelangen konnte, indem er Quellen benutzte, die den akademischen Zirkeln seiner Zeit schon lange bekannt waren. Zwar sind die Dialoge im Stück konstruiert, nicht aber der Sachverhalt. Der Autor bietet diesen Sachverhalt dem Leser in teils amüsanter, teils derber Form dar - wie es dieser Epoche entsprach. Fortes Kunst besteht darin, dass er diese Zeit als Ganzes, und nicht bruchstückhaft, z.B. als religionsgeschichtliches Detail abhandelt.
Zweifellos kann uns Dieter Forte mit seiner Arbeitshypothese, das Kapital führe Regie, ein Lehrstück für alle Zeiten präsentieren. So sind die Schulden, die ein Fürst oder Kaiser Karl gegenüber dem Handelshaus Fugger angehäuft hat, in der Buchhaltung akribisch aufgelistet und können jederzeit durch bloße Vorhaltung ihre Wirkung entfalten. In der letzten Szene, in der Fugger und sein Buchhalter Schwarz gemeinsam das „Vater Unser des Kapitals" beten, wird allein aus buchhalterischer Sicht deutlich, wie der Kapitalismus für den Kapitalisten effizient funktioniert: „O Kapital. Wir bitten dich. Dass alle Menschen an dich glauben.“
Der Mensch, er braucht den Herrn, dem er dienen kann allemal. Und wenn's Gott nicht ist, dann ist's das Kapital. Nur unter Zwang kann der oder die Dienende in Gemeinschaft leben. Was könnte ihn oder sie besser nieder zwingen als die Allmacht des Kapitals! So muss gegen Ende des Stücks Erasmus von Rotterdam resignierend feststellen: „Du kannst das jetzt alles wegwerfen. Vernunft, Aufklärung und Toleranz sind nicht mehr gefragt.“ Bevor Luther aber ein letztes Mal auftritt, verschachern die Söldner auf dem „Freien Markt“ die gemetzelten Bauern aus den niedergeschlagenen Bauernaufständen an die Angehörigen: „20? Er steht ihm noch. Hier. Wenn du ihn rasch ins Bett legst, hast du noch was davon. 10 Gulden! 15, oder ich mach Hack aus ihm.“
© goo, Juni 2009
1Dieter Forte, Martin Luther & Thomas Münzer oder die Einführung der Buchhaltung, Hamburg 1981