An der Bushaltestelle wartend, das kleine Buch in der Hand haltend, die Kurzgeschichte lesend von der gelben Straßenbahn und den fünf Menschen, von dem alten Mann, der nachts die Stimmen hört in den Lüften, die Stimmen der Toten, die keinen Platz mehr haben, und dem blassen Mann, der seine Mutter verloren hat im Novemberdeutschland, damals als die Geschichte geschrieben wurde. Ich betrete den gerade angekommenen blauen Bus, der sich absenkt, um die Fahrgäste in diesem Januardeutschalnd zu Ihren Zielen zu bringen.

"Die Telefonkarte habe ich dir hingelegt!", sagt eine Frau laut zu dem neben ihr sitzenden Mann. "Heute Morgen habe ich sie dir hingelegt!", und ein Streit beginnt, den ich nicht so recht verstehen kann, der auszuufern droht. Immer heftiger wird die Stimme der Frau und der Mann antwortet leise, kaum hörbar für mich, und die Frau wird immer lauter.

Keine Stimmen, die aus der Luft zu uns reden, oder doch, aber keine Toten, die zu mir sprechen, lebendige Menschen, die sich streiten wegen einer Telefonkarte, und die Toten sprechen doch zu mir, gerade jetzt brennt es, die Flammen kann ich sehen, obwohl ich nie etwas Derartiges miterlebt habe, der Tod ist ein Meister aus Deutschland, doch den Geruch von verbrannten Menschenhaaren nehme ich nicht wahr, nur die Stimmen, die Schreie, die man sonst nicht hört, während die Frau neben mir immer lauter wird, aufsteht und sich wegsetzt.

Da sind sie die Bilder der letzten Jahre aus Lübeck oder Rostock, aus ... oder ..., und die Bilder, die nie gezeigt wurden und die Stimmen, die nie zu hören waren, liegen in der Luft im Bus wie in der Geschichte. Der Tod ist ein Meister aus Deutschland, das ist noch heute wahr, wenn all die Toten, die keinen Platz mehr finden unter uns sind, zu uns sprechen, als säßen sie neben uns. Dennoch sitzen sie neben mir, und die Frau hat sich wieder zu ihrem Begleiter begeben, streitet sich weiter über die Telefonkarte, regt sich noch heftiger über ihr Gegenüber auf, von dem sie nicht lassen kann. Warum auch: wir lieben das, was wir hassen, wir töten das, was wir lieben.

Und ich höre den Gleichschritt, das Getrampel der Stiefel, sie marschieren wieder überall in der Welt, verbreiten Hass und Tod. Sieg Heil dröhnt es in meinen Ohren, die Welt wollen sie brennen sehen und die Toten sprechen zu mir: Siehst du es nicht, hörst du es nicht? Und sie marschieren immer weiter, überall auf der Welt haben sie sich festgesetzt. Und ich höre die Toten aus den Lüften, da liegt man nicht eng, und ich höre das Getrampel der Stiefel, immer heftiger, immer unerträglicher.

Der Bus erreicht sein Ziel, die Frau ist allein, ich bin auf dem Weg zur Arbeit und denke über das nach, was ich gerade erlebt habe. Gebrochen durch eine Geschichte, wie das Licht im Wasser, habe ich einen anderen Weg eingeschlagen, habe ich eine andere Realität kennengelernt, die nur für mich ist, heute in diesem Januardeutschland, das sein Gesicht verhüllt in Kälte und Nebel.  Die Worte erfrieren, die Bilder vereisen.

© GOO, September, 2008

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