Herbert geht in den Wald. Er hat einen Holzsammelschein. Der Förster lässt ihn gewähren. Der letzte Sturm hat mächtig gewütet. Die Bäume liegen wie Streichhölzer geknickt am Boden. Bald ist Herberts Karre voll. Es ist gutes Brennholz: Fichtenholz, Buchenholz, Eichenholz. Am nächsten Tag ist er wieder unterwegs. Bis der Keller voll ist, wird er nach seinen Berechnungen mindestens noch zehnmal gehen müssen. Dann reicht es auch für den Nachbarn. Herbert ist froh, einer sinnvollen Beschäftigung nachgehen zu können.
Herbert hat für den Winter vorgesorgt. Das Holzhacken verschiebt er auf den Herbst. Dann erst muss er heizen. Er geht schlafen.
Herbert wacht auf. Er ist unruhig. Hat er verschlafen? Ist es zu spät? Er geht in den Keller. Das Holz ist noch da. Gut! Jetzt ist es Zeit, das Holz in kleine Stücke zu hauen. Er sucht das Beil und die Säge. Beides ist nicht an seinem Platz. Wie soll er das Holz zerkleinern? Er geht zurück in seine Wohnung und denkt nach.
Kaputt machen, in Stücke hauen, klein machen. Nichts kann er tun. Es fehlt ihm das Werkzeug. Woher kann er es bekommen? Herbert wird wütend. Er flucht! Er schreit es heraus: weg schreien, schlecht schreien, klein schreien.
„Man sollte das System nicht schlecht reden. Sonst kann die Krise noch größer Ausmaße annehmen!“, hört er einen Journalisten im Radio sagen. Schlecht reden, klein reden, kaputt reden. Er eilt in den Keller und stellt sich vor das Holz. Er holt tief Luft und schließt seine Augen.
„Stark waren einst diese Bäume und konnten jedem Sturm trotzen. Doch was eben noch so prachtvoll im Zenit des Werdens stand, ist schon dem Untergang geweiht. Begehrt war das Holz. Prunkvolle Schränke wurden aus ihm gefertigt: für Könige, Fürsten, reiche Leute. Doch was ist geblieben? Seine Ungestalt offenbart sich dem Betrachter. Das Holz ist nichts mehr wert. Keiner will es haben. Das ist das Ende. Hier in meinem Keller liegen die kläglichen Reste. Nur noch zum Verfeuern taugt es nun!“
Herbert öffnet seine Augen und starrt auf das Holz. Unschuldiges Holz, denkt er. Vielleicht ist Schönreden besser! Es macht Hoffnung, lässt die Sorgen vergessen, bewegt Menschen. Warum nicht auch das Holz im Keller? Er holt tief Luft und schließt seine Augen.
„Stark waren einst diese Bäume und begehrt ihr Holz. Nun liegt diese Pracht in meinem Keller und soll mir und meinem Nachbarn in kalten Zeiten die Wärme spenden, die wir für ein angenehmes Leben brauchen. Was gibt es Edleres auf dieser Erde als Brennholz? Edler ist es als alle Könige, alle Mächtigen dieser Welt zusammen! Edel und hilfreich sei das Brennholz. Also, zerfalle vor meinen Augen, damit du dich selbst zu dem veredelst, zu dem du berufen bist!“
Herbert öffnet die Augen und starrt auf das Holz. Unschuldiges Holz, denkt er und geht erneut in seine Wohnung. Morgen wird er den Nachbarn nach einer Säge und einer Axt fragen.
© goo, April 2009