An Markttagen – das sind in dem Ort, in dem ich lebe, der Mittwoch und der Samstag – verlasse ich frühmorgens das Mietshaus, in dem ich wohne, und mache mich auf den Weg. An meinem Arm baumelt stets diese unscheinbare Einkaufstasche. Sie könnte gut zwei Kohlköpfe, fünf Pfund Äpfel sowie einen Sack Kartoffeln in sich bergen, ohne dadurch sonderlich ausgebeult auszusehen. Ihr Geheimnis kennt jedoch niemand außer mir.

Sobald ich auf dem Markt angekommen bin, öffne ich die Tasche und mache mich an die Ernte. Hier ein girrendes Kinderlächeln, da das fröhliche Lallen eines Säuglings, dort das laute Auflachen eines Erwachsenen – alles hat Platz in meiner Tasche. Und rutscht versehentlich das Grölen eines bereits zu früher Stunde Betrunkenen dazwischen, so entsorge ich es noch vor Betreten des Hauses heimlich in den Gulli.

Im kleinsten Zimmer meiner Wohnung steht eine Kommode, die hat viele Schubladen. Diese Kommode ist gerade so hoch, dass ich ohne Schwierigkeiten die jeweilige Schublade öffnen kann. Jede dieser Schubladen hat eine andere Farbe. Leise Kinderlächelvarianten verwahre ich in pastellfarbenen Laden, gemischte und mittlere Stimmlagen in gepunkteten oder bunt gemusterten, hohe Erwachsenenlachsorten in dunkelrot oder nachtblau gestrichenen. Sie beschließen den oberen Rand.

Meine Sammlung unterschiedlichster Lach- und Lächelsorten ist inzwischen zu einem erstaunlichen Sortiment angewachsen. Ich verlasse nun auch seltener das Haus, die Marktbesuche habe ich mittlerweile auf die paar zum leiblichen Überleben notwendigen Einkäufe beschränkt. Mein Leben aber hat sich auf eine wundersame Weise bereichert: Morgens, nach dem Aufstehen, öffne ich zunächst eine Schublade, vielleicht im unteren, helleren Bereich, und erfreue mich an einem Kinderjuchzen. Und wenn mir danach ist, so ziehe ich zwei der mittleren gleichzeitig und erfreue mich am zweistimmigen Lachen. Öffne ich aber eine der obersten Schubladen, dazu die unteren und mittleren im Wechsel, so ist mir, als hörte ich einen mehrstimmigen Chor.

Es muss ein fröhliches Haus sein, sagen die Leute, die draußen vorm Fenster vorüber gehn. Es müssen glückliche, unbeschwerte Menschen sein, die hier wohnen. Sie passen so gar nicht in diese Zeit.

 

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