Kunst und Kult kann man getrennt besser vermarkten. Hollywood ist das Paradebeispiel dafür. Zuerst wird die Verpackung gezeigt und danach die Verpackung der Verpackung. So wird alles gleich mehrmals eingepackt und heraus kommt das sogenannte Überraschungspaket. Jeder kennt es vielleicht vom Geburtstag oder von Weihnachten. Immer dann, wenn die Eltern zu wenig hatten, wurde das Wenige mit der Verpackung so mächtig herausgeputzt, dass man als Kind froh war noch am selben Tag sein Geschenk unter dem vielen Papier zu finden.
Eine Einheit beider Größen ist aber nur in einer Gesellschaft denkbar, die sich der totalen Kommerzialisierung entzieht. Vielleicht liegt es daran, dass die Menschen, die diese Einheit einst geschaffen haben, selbst Handelsware waren. Sklaven, von den Portugiesen in Benin eingekauft, wurden an die Spanier gewinnbringend weiterverkauft. So landete einst Afrika, die Wiege der Menschheit, wenn man den Anthropologen folgt, zusammengepfercht auf einer kleinen Insel: Haiti. Nachdem die Spanier die Ureinwohner, die fälschlicherweise Indianer genannt werden, wir wissen ja warum, ordentlich dezimiert hatten, brauchte man Dienstpersonal. So konnten sich die Gene Afrikas mit denen Europas und Amerikas mischen, denn Liebe und Wollust unterscheidet nicht nach Herkunft.
Der Mensch muss sein Wesen vergegenständlichen. Er kann nicht anders als sich zu verwirklichen. Ob es nun seine dunkle oder seine helle Seite ist, egal, die Gegenstände erzählen ihre eigene Geschichte. Um so dankbarer muss derjenige sein, der diese Geschichte lesen will, wenn sie noch gelebt wird. Deshalb ist die Einheit von Kunst und Kult, der Vodou, eine lebendige Wirklichkeit, die sich aus jeder Umklammerung löst, sich neu entwirft und trotz des verheerenden Erdbebens auf Haiti als konstante Größe im Leben der Menschen dort erhalten bleibt.
Ich kann die Objekte der Ausstellung betrachten, ihre Lebendigkeit erfahren kann ich nicht. Klischee und Kitsch sind kommerzielle Faktoren, die diesen Objekten nur dann entsprechen, wenn man ihnen in Hollywood-Filmen wieder begegnet. Aber hier im Museum können sie eine andere Dimension entfalten. Der afrikanische Ursprung der Kunst ist genauso unverkennbar wie der indianische oder der des Katholizismus. Eine Kunst, die sich aus so vielen Vorbildern speist, kann ihren Zauber auch dann noch aufrecht erhalten, wenn sie museal eingesperrt ist.
Doch wie gelangen die Objekte, die die Geister lwa darstellen, von denen es immerhin 401 gibt, und die alle eine Seite Gottes verkörpern, in ein europäisches Museum? Die Sammlerin heißt Marianne Lehmann, eine Schweizerin die 1957 einen Haitianer kennenlernte, dem sie auf die Insel folgte. Von Gegenständen trennt man sich nicht so leicht wie von einem Mann. Insbesondere dann nicht, wenn es sich um danti, um heilige Objekte handelt, die einst im Besitz von Priestern, houngan, waren und die in Vodou-Tempeln, houmfort, standen. Es müssen schon gute Gründe vorliegen, um die lwa einer Familie oder eines Vodou-Klosters wegzugeben. Bei den Bizango Kriegern, die man in der Ausstellung sehen kann, hatte eine Familie vor den eigenen Figuren Angst und beschloss daher, sie zu verkaufen.
Vielleicht hat das Erdbeben auch etliche Figuren und danti unter sich begraben und man kann nur von Glück reden, dass die Sammlung von Frau Lehmann nicht darunter war. Schließlich handelt es sich um über 3.000 Exponate, von denen ca. 350 im Ethnologischen Museum in Dahlem zu bewundern sind. Kein Wunder also, dass bei Frau Lehmann kein Platz mehr für alle Objekte vorhanden ist. Ein Museum in Haiti ist geplant, groß genug soll es werden, um den ganzen Vodou und noch mehr aufzunehmen. Doch dafür muss erst Geld gesammelt werden. Die Ausstellung in Dahlem will jedenfalls über den Eintrittspreis dazu beitragen.
Ist der Vodou vielleicht beides: Harmonie einer ethnischen Vielfalt und Kampf um Unabhängigkeit? Für Sklaven hat die Freiheit eine andere Bedeutung. Sie ist nicht mit dem Begriff der Bewegungs- und Meinungsfreiheit westlicher Zivilisationen identisch. Sie ist ursprünglicher und bezieht den Traum von Unabhängigkeit mit ein. So sind die Geheimgesellschaften, die durch die Maroons, den entflohenen Sklaven, in den Hügeln Haitis gegründet wurden, eine Konsequenz dieser Befreiung vom zombiehaften Dasein. Sie sind kriegerisch, verkörpern den Widerstand, den Freiheitskämpfer und den Mensch in Ketten. Kein Wunder, dass Haiti 1804 die erste unabhängige Republik wurde und die Sklaverei abschaffte. Peru, Kolumbien und Venezuela folgten mit der Unterstützung des Vodou. Vielleicht erklärt dies die Mischung aus Kraft, Bewunderung, Neugier und friedvoller Atmosphäre, einem Gefühl, das mich im Spiegelraum der Ausstellung oder bei den Bizango-Kriegern überkam und nicht zuletzt durch die Zwielicht-Beleuchtung, in der sich der Nacht-Vodou dem Zuschauer präsentiert, verstärkt wurde. Denn: Vodou ist ein Kind der Nacht und in den Gefäßen sind die Legenden verwahrt, die ein Geheimnis bleiben sollen. Geschwätzig darf der Vodou nicht sein, sonst hätten die Bizango Haiti von den Kolonialisten niemals befreien können.
Das Ethologische Museum in Berlin Dahlem bietet zudem noch die Möglichkeit, die Originale aus den verschiedenen Kulturen direkt zu betrachten. Die grausamen Nkonde-Figuren vielleicht! Sie sollen den Menschen daran erinnern, was mit ihm passiert, wenn er Verträge bricht. So auch die Binzango Krieger, die alle daran erinnern sollen, was mit ihnen passiert, wenn sie Verrat begehen?
Doch Vodou ist Kunst und Kult in einem. Dazu gehören nicht nur die Objekte, sondern deren Verwendung in den Zeremonien. Die Ausstellung berücksichtigt auch diesen Aspekt. Dazu wurden im Vorraum Videos installiert. Verschiedene Interviews mit Vodou-Priestern sind dort zu sehen, wie auch die klischeehafte Vorstellung einer kapitalistischen Welt, die kein Geheimnis mehr zu kennen scheint, wenn man vom Kapital selbst einmal absieht.
Die Ausstellung ist kreisförmig angeordnet und besteht aus sechs Abteilungen. Im Zentrum befindet sich der Teil mit den Bizango-Kriegern. Die Eintrittskarten kosten 8 bzw. 4 Euro ermäßigt. Zwei bzw. ein Euro sollen für den Bau des Vodoumuseums verwendet werden. Es ist geplant, so heißt es in den Prospekten. Geld zu verschieben, ist wie Straßenbau. Allerdings wird vieles nicht geplant und verfällt unbekannten Größen, die es der öffentlichen, nachvollziehbaren Kontrolle entziehen. Wie viele Menschen erst bestochen werden müssen, um das Museum in Haiti zu bauen, weiß ich nicht. Aber sie kennen mich inzwischen: ich rechne damit. Und so wird es vielleicht eine weiter Geschichte geben, die der Vodou nicht mehr beeinflussen kann, weil die Zauberkraft des Geldes viel stärker ist. Kennen sie Shakespeare? Der soll einmal gesagt haben:
„Gold? Kostbar, flimmernd, rotes Gold? Nein, Götter!
Nicht eitel ficht' ich.
So viel hievon macht schwarz weiß, häßlich schön;
Schlecht gut, alt jung, feig tapfer, niedrig edel.
Reißt Halbgenesnen weg das Schlummerkissen:
Ja, dieser rote Sklave lost und bindet
Geweihte Bande; segnet den Verfluchten;
Er macht den Aussatz lieblich, ehrt den Dieb
Und gibt ihm Rang, gebeugtes Knie und Einfluss
Im Rat der Senatoren; dieser führt
der überjähr'gen Witwe Freier zu;
Sie, von Spital und Wunden giftig eiternd,
Mit Ekel fortgeschickt, verjüngt balsamisch
Zu Maienjungend dies. Verdammt Metall,
Gemeine Hure du der Menschen, die
Die Völker tört.“
© GOO, Juli 2010