Eine Ausstellung am vorletzten Tag zu besuchen, ist oft mit dem Risiko verbunden, nie mehr das zu sehen, was man eventuell beim ersten Besuch verpasst hat. Die zweite Chance kann nur am letzten Tag wahrgenommen werden. Dass der Besucher länger bleibt, als er stehen kann, versteht sich unter diesen Umständen von selbst. „Die Sprache Deutsch“, ausgestellt auf engstem Raum im Historischen Museum Berlin, wird zur Herausforderung der besonderen Art. Erst recht dann, wenn bei der Ausstellung ein Konzept zu erkennen ist: Neugierig machen! Nicht alles beim ersten Mal präsentieren.

So nimmt es kein Wunder, dass die Beschwerden über die Unvollständigkeit eines der ältesten Dokumente der Deutschen Sprache direkt am Eingang der Ausstellung ungehört bleiben. Wissen die Angestellten etwa mehr als der gemeine Besucher? Wo ist zum Beispiel der Text des „Freisinger Vater Unser“ aus dem 9. Jahrhundert nachzulesen, der so, vorgelesen über den kostenlosen Audio-Guide, die Gehörgänge hinunter rauscht und klar zu machen droht, dass die Sprache sich ständig in einer Entwicklung befindet, die die herrschenden Machtverhältnisse widerspiegelt.

Die Deutsche Sprache und ihre Entwicklung folgt einem Muster, das den meisten Zivilisationen innewohnt. Zuerst ging es um Gott und die Übersetzung seiner Worte in die Sprache des gemeinen Volkes. Diese Art von Populismus muss unter die Kategorie Mission fallen, bis weitere Machtgefüge mit nicht weniger Sendungsbewusstsein wie das religiöse Pendant die Sprache veredelten. So huldigt das „Nibelungenlied“ genauso der sprachlichen Entwicklung wie der „Sachsenspiegel“ - ein lebendiges Zeugnis dessen, dass die Gerichtsbarkeit die Sprache nicht nur in längst vergangener Zeit geprägt hat. Meistens zum Vorteil derer, die das Volk als Anhängsel der Politik – als populusque – verstanden.

Nach drei Stunden Sucherei kann derjenige befriedigt sein, der all das gefunden hat, was er verloren glaubte. Dass bei einem solchen Thema immer etwas fehlen muss, liegt in der Natur der Sache und man ist geneigt, sich darüber erfreut zu zeigen, wenn so viel gefehlt hat wie in dieser Ausstellung. Hätte es unter solch widrigen Umständen nicht Tage in Anspruch genommen, die Ausstellung zu erforschen?

Ich persönlich hatte meine Schwierigkeiten, der Ausstellung zu folgen. Dies lag sicherlich daran, dass ich mich unter diesen Umständen als Sehbehinderter zu betrachten hatte. Dem Besucher die meisten Exponate in Vitrinen zu präsentieren hat den Vorteil, dass die Kopien nicht von jedermann befingert werden können, erschwert es aber dem Kurzsichtigen, der Ausstellung in gewohnter Gelassenheit zu folgen. So bleibt der Eindruck, dass „dann und wann ein weißer Elefant“ das Karussell im Kopf in all seinen Details rekonstruiert, wie es nur die Sprache als auslösendes Moment in Verbindung mit der Erinnerung bewerkstelligen kann. Auch der Hirsch in Rilkes Gedicht „Das Karussell“ verwandelt sich nicht nur in ein aufgehängtes Symbol der Stärke, sondern findet sich bei Theobald Tiger im „Völkischen Lautenlied“ als unausgesprochene Unart des Deutschen Wesens wieder, das zum Brüllen auserkoren und an dem so viele ..., Sie wissen ja schon!

Um wie viel leichter erscheint das Sein, das die Sprache in uns bildet, wenn der Besucher auf anscheinend Belangloses, wie die unterschiedliche Schreibweise von Kultur (Kult-Uhr, Kull-Tour) eines Arno Schmidt trifft. Hier entwirft sich der Mensch neu, als ein immer wieder neue Sprachspiele erfindendes Wesen – ganz im Sinne von Wittgenstein. Eines der schönsten Sprachspiele ist nach unserer Meinung das Merz-Gedicht „An Anna Blume“ von Kurt Schwitters:

Schwitters

Wir haben es uns beide mehrmals angehört, Sie wissen schon, über den Audio-Guide oder AuDieOhGeiht - und heute hängt eine Kopie des Gedichts an unserem klimakorrekten Kühlschrank (klümükürrüktün Kaulschronk).

© goo, nach Notizen von bio, Mai 2009

 

Ausstellung: "Die Sprache Deutsch"
Deutsches Historisches Museum Berlin
15.1. - 3.5.2009
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