Gibt es eine Instanz, die keine Möglichkeit hat in das Geschehen einzugreifen, sind wir geneigt, ihr einen metaphysischen Charakter zuzusprechen. Wie sieht es mit einer gedachten Größe aus, die zum Zuhören oder Zusehen verdammt, ohne Möglichkeit aktiv in eine Kommunikation einzugreifen, trotzdem ein Einfluss hat?

Das Private ist seinem Wesen nach unmittelbar. Doch kann es seiner Privatheit beraubt werden, wenn es sich im öffentlichen Raum mit Kommunikationsmitteln Gehör verschafft, die im Allgemeinen die Privatheit des Privaten garantieren. Dem Bewusstsein fällt es offenbar leicht, das Private öffentlich in einem medialen Raum zu inszenieren und die Privatsphäre zum geheimen Ort werden zu lassen, von dem jegliche Öffentlichkeit ausgeschlossen ist.

So wie das Private in der Öffentlichkeit exponentiell zunimmt, wird das Geheime entsprechend abnehmen. Die menschliche Komödie oder Tragödie von Liebe bis Tod wird, wie viele Beispiele in letzter Zeit belegen, immer häufiger öffentlich und authentisch inszeniert werden, damit die ganze Welt dabei zuschauen kann. So wird die Verkaufsverhandlung über das Internet im medialen Raum genauso indifferent durchgeführt wie die Verabredung zum Suizid oder zum Amoklauf. Dass selbstregulierende Mechanismen wie Schuld, Furcht, Scham, Verantwortung auf der Strecke bleiben, kann nur als ein gewolltes Abfallprodukt der privatisierten Öffentlichkeit betrachtet werden.

New York! Es ist vier Uhr früh. Robert sitzt in der U-Bahn Richtung Flughafen. Um sieben Uhr wird sein Flugzeug nach Berlin abfliegen. Er ist sichtlich zufrieden mit dem Geschäftsabschluss, den er erfolgreich unter Dach und Fach gebracht hat. Das muss gefeiert werden. Er ruft über das Mobiltelefon seine Freundin Christine in Berlin an, die gerade am Computer einen neuen Trinkbecher für die Kampagne „Be Berlin“ entwirft. Der Becher sieht aus wie ein dreidimensionales B.

Zu gleichen Zeit sitzt Frank in einer U-Bahn in Tokio und will gerade mit Jessy in Hamburg Schluss machen. Doch die Vermittlung seines Telefonats kommt nicht zustande. Durch eine Fehlschaltung einer Abhörzentrale in Oklahoma wird er Zeuge des Gesprächs zwischen Robert und Christine.

„Wie wäre es mit einem Theaterbesuch?“, fragt Robert mit lauter Stimme ins Handy. „Großartig! Dann ist alles bestens gelaufen?“, hört Robert am anderen Ende Christine sagen. „Allerdings! War gar nicht so schwer, wie ich mir das vorgestellt habe. Alle sehr freundlich hier und überaus zuvorkommend. Ich habe da an die neue Inszenierung von Schlingensief gedacht! Hättest du Lust? Besorgst du Karten?“, fragt er Christine, als sein Nachbar sich ihm zuwendet und eine Geste zum Telefon hin macht. Robert gibt ihm wie verzaubert das Handy: „Für mich könnten sie auch eine Karte kaufen! Ich fliege ebenfalls nach Berlin und würde gern die Aufführung sehen.“. Christine ist verwundert über die fremde Stimme, dennoch willigt sie mit einem langgestreckten O.K. ein.

„Ich hätte auch gern eine Karte, aber für die Aufführung in Hamburg! Geht ihr endlich aus der Leitung!“ brüllt Frank in sein Mobiltelefon und die Fahrgäste in der U-Bahn blicken ihn an. Im Hintergrund hört er in deutscher Sprache: „Ich kann nicht mehr. Die Knete vom letzten Bruch liegt unter der Matratze. Wenn der 500 haben will, dann gib ihm 300 und den Rest später. Halt ihn solange hin! Ich sitze hier fest. Kann nicht sagen, wann ich zurück bin.“. Da hört Frank ein Geräusch, das ihn an das Laden einer Pumpgun erinnert. Er blickt auf und sieht am anderen Ende der U-Bahn einen dunklen Typen, der etwas auf japanisch ruft. Wie durch ein besonderes Kraftfeld angezogen, fallen die Mobiltelefone der Fahrgäste auf den Boden.

Das allgemeine Gemurmel ist schlagartig verschwunden und gibt die Fahrgeräusche der U-Bahn frei. Frank sieht, wie der Pumpgun-Japaner sein Handy aus der Hosentasche zieht, als wäre es eine weitere Waffe. Er hält es am ausgestreckten Arm in die entsetzten Gesichter der Menge. Dabei fuchtelt er mit der Pumpgun herum, die er in der anderen Hand hält. Es knallt fürchterlich, anschließend Schreie des Entsetzens. Jetzt stellt er die Bilder ins Netz, denkt Frank, und blickt regungslos in das Gesicht des anderen Deutschen.

© goo, Mai 2009

 

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