Das Sonnenlicht blendet Herberts Augen, der seinen Blick durch den schmalen Spalt der Jalousie auf das Grün im Garten wandern lässt. Die Blätter der Hecke glitzern, bald werden die letzten Regentropfen verdampft sein und ein mattes Grün wird zurückbleiben. Herbert gönnt seinen Augen auf der verstaubten, schwarzen Tastatur seines Computers eine Erholungspause. Die sich weiß abhebenden Buchstaben, Zahlen und Sonderzeichen treten in den Vordergrund und sein Blick kontrolliert die Bewegungen seiner Zeigefinger. Schließlich soll das Geschriebene mit seinen Gedanken in Korrelation stehen und nach allen Regel der Rechtschreibung übereinstimmen.
Es bedarf mehrerer Korrekturen, erst danach wird Herberts Kommentar in Lichtsignale, die durch Glasfaserkabel jagen, umgewandelt, um ans andere Ende gebracht zu werden. Dort, wo die Hochebene liegt, buckelt Herbert einen Gedanken nach dem anderen hin und der Verdacht kommt auf, dass noch ein gutes Stück Arbeit vor ihm liegt.
Aber was wäre, wenn Herberts Gedanken aus einer Zeit stammen, die ein Loch hat und es ihm erlaubt, eine kleine Zeitspanne in die Zukunft zu sehen? So übermittelt er im Mittelwert oder im Median eine Wahrheit, die schon längst einer weiteren Aktualisierung bedarf, um das widerzuspiegeln, was er befürchtet. Schließlich stammen die Daten, die Herbert für seinen Kommentar benutzt, aus einer Vergangenheit, die drei Jahre zurück liegt.
Aber lohnt sich der ganze Aufwand, mühsam Buchstabe für Buchstabe ans andere Ende zu übertragen? Wird Herbert nicht Spott und Hohn ernten, für das, was er gerade auf seinem Bildschirm sieht und das in anderer Form von Tausenden ebenfalls gesehen werden kann? Trotzdem gilt es weiterzumachen, obwohl es immer schwieriger wird, obwohl seine Gedanken nicht mehr fließen, sich eher träge dahinziehen, als würden sie durch eine unbekannte Kraft zu Spaghetti verarbeitet werden.
Mikrozensus 2007 nennt sich ein Verfahren, das regelmäßig stichprobenartig eine Momentaufnahme einer ganzen Gesellschaft liefern soll. Satellitentechnik ist heute notwendig, um die Erde bis ins letzte Detail zu vermessen, um mit sich selbst steuernden Drohnen den Feind zu töten. All das geht Herbert durch den Kopf und er fragt sich, was in der hochtechnisierten Zeit ein Krieg ist? Und schon findet er die schlüssige Antwort: Gezieltes Töten. Auch hier weiß Herbert sich einzubringen. Nicht ohne Grund holen sich amerikanische Militärs Rat bei der Filmindustrie in Hollywood.
Zuerst wollte er mit seinen Kommentaren nur herausfinden, auf welche Schlüsselwörter hin die Software, die alle Kommentare scannt, das sperrt, was er gerade der Öffentlichkeit zu verkünden hatte. Wie verwundert musste er feststellen, dass das Wort Faschismus auf dem Index der Software stand. Bei Schimpfwörtern jeglicher Art war ihm das klar, dazu war die Zeitung zu seriös.
Als er aber zwei Tage später zu den Stichwörtern Mikrozensus und Krieg im hochtechnisierten Zeitalter, die in seinen Kommentaren Verwendung fanden, entsprechende Artikel in der Zeitung findet, ist er sehr überrascht. Also wurden die Kommentare vielleicht doch von Menschen gelesen, in der Hoffnung Vorlagen für weitere Artikel zu bekommen? Diese Erklärung schien Herbert sehr plausibel und er hatte den Eindruck, dass er etwas beeinflussen konnte.
Er verwandelte sich zusehends in einen Beobachter, der das Ganze als ein Experiment ansah. Herbert baute weitere Stichworte für Folgeartikel in seine Kommentare ein. Tatsächlich wurde er in seiner Meinung bestätigt und ein Glaube an eine Zeitkrümmung kam in ihm auf, als würde er für einen kleinen Moment in die Zukunft sehen können. Wenn das so wäre, beschloss er in seiner Phantasiewelt, könnte er bestimmt die Lottozahlen der nächsten Ziehung vorhersagen.
Als er im Lottogeschäft den Tippschein ausfüllte, konnte er sich gegen ein aufkommendes Glücksgefühl nicht zur Wehr setzen und lachte laut. Die umstehenden Personen sahen ihn an, als wäre er ein Wahnsinniger. Aber das machte ihm nichts aus. Er gab seinen Schein ab, bezahlte 5,25 Euro und verwahrte die Quittung in seinem Portemonnaie wie in einem Tresor auf. Leider musste er zwei Tage später feststellen, dass er nichts gewonnen hatte. Ein wenig traurig war er schon, hatte sich seine Hypothese letztendlich doch nicht bewahrheiten können. Deshalb beschloss er, den Grund in etwas zu suchen, das er nicht mehr durch ein Experiment verifizieren konnte: Das Sommerloch!
© GOO, August 2010