Die Bühne verwandelt sich in ein Fernsehstudio.

 

Interviewer: Wir gratulieren Ihnen zum Nobelpreis für Physik. Können Sie dem Publikum kurz erklären, wofür sie ihn bekommen haben?

Wissenschaftler: Ich habe das bedingungslose Teilchen entdeckt!

I: Was bedeutet das ?

W: Mit diesem Teilchen lassen sich alle physikalischen Größen erklären: Raum, Zeit, Kräfte, Energie und so weiter.

I: Sie haben also die Weltformel entdeckt.

W: Wenn Sie so wollen, ja!

I: Und was wird sich dadurch ändern?

W: Direkten Einfluss auf unser Leben erwarte ich nicht. Allerdings hat die Physik mit meiner Entdeckung des grundlosen Anfangs der Welt auch ihr Ende gefunden.

I: Wie meinen sie das?

W: Ich bin sozusagen der Vollstrecker der Physik. Das Buch der Physik kann damit endgültig zugeschlagen werden. Die Professoren an den Universitäten können entlassen werden. Die Experimente an den Teilchenbeschleunigern eingestellt werden. Die Forschung auf physikalischem Gebiet beendet werden.

I: Dann wird ihre Entdeckung zu einem grenzenlosen Arbeitsplatzabbau führen?

W: So wie ich das momentan einschätze, wird dies der Fall sein!

I: Haben Sie keine Bedenken?

W: Anfangs schon. Ich habe die Entdeckung schließlich vor 30 Jahren gemacht. Wir haben lange im engsten Kreise darüber diskutiert, ob wir die Ergebnisse veröffentlichen sollten! Man hat mir von allen Seiten gut zugeredet! Schließlich habe ich mich überzeugen lassen.

I:Zusammenfassend kann ich also feststellen, dass das bedingungslose Teilchen der Grund für eine weitreichende gesellschaftliche Veränderung sein wird?

W: So paradox es klingt, meines Erachtens wird dies der Fall sein. Wer hätte schon gedacht, dass die Bedingungslosigkeit die Bedingung für eine gesellschaftliche Umwälzung sein wird?

I: Klingt nicht gerade viel versprechend. Hätten Sie da nicht verantwortlicher handeln müssen?

W: Verantwortlich kann nur der handeln, der sicher weiß, welche Folgen sein Handeln haben wird. Aber ich stelle mich gern als Sündenbock zur Verfügung!

 

Im Hintergrund sind laute Stimmen. Es handelt sich um einen Streik der Rundfunkmitarbeiter, die um ihre Arbeitsplätze bangen.

 

W: Was ist da los?

I: Ich glaube, dass sind meine Kollegen!

W: Warum schreien die?

I: Sie protestieren gegen die Lohnkürzungen und die Entlassungen!

W: Ich habe damals meinen Mitarbeitern gesagt, dass ein Gesellschaftssystem, dass nur unter Druck funktioniert, niemals für die Veröffentlichung des bedingungslosen Teilchens geeignet ist. Damit würde der Druck auf die Menschen nur erhöht.

I: Sie meinen unsere Demokratie?

W: Nein, es geht um das, was das Handeln des Menschen festlegt, den Kapitalismus natürlich!

I: Also haben sie doch einen Fehler gemacht?

W: Ja! Ich denke, im Nachhinein habe ich recht behalten.

I: Es wird sehr, sehr laut. Ich denke wir beenden das Gespräch.

 

Sicherheitsleute stürmen auf die Bühne und decken mit ihren Körpern den Wissenschaftler ab. Der wird unter lauten Gebrüll von der Bühne geführt.

 

© GOO, Februar 2011

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