Grab

 

Die Siedlung ist zweigeteilt: auf der einen Seite Reihenhäuser, auf der anderen Bungalows. Ein schmaler Weg führte aus der Siedlung heraus, vorbei  an der etwa 500 Meter langen, stillgelegten Ziegelei und weiter bis zum Bahnhof der Kleinstadt. 

Alles war bestens. Nach dem gewonnen Krieg 1870/71 setzte in Deutschland ein industrieller Boom ein, die Bevölkerung wuchs rasant und die Nachfrage nach Ziegeln auch. Das Baumaterial für Hütten und Paläste. Die Hütten sehr lukrativ für die Besitzer und eine Last für die Bewohner: zu wenig Wohnraum für die (meist zu großen) Familien und zu teure Mieten. Das Überleben bis zum nächsten Tag stand im Vordergrund: eine Kultur der Armut und des Milieus. Auch diese Menschen waren wie die Ziegel eines größeren Gebäudes und der Mörtel, der sie zusammen hielt, war vielleicht auch ihre Solidarität.

Als sich um 1900, begünstigt durch das Genossenschaftsbaugesetz von 1889, die ersten Baugenossenschaften bildeten, schien Abhilfe in Sicht. Hier wollte man mehr: Licht, Luft und Sonne für jedermann waren die Prinzipien. Nicht die dunklen Löcher sollten es sein, bei denen die Ziegel nur benutzt wurden, um Raum für Herd oder Bett bereit zu stellen. Die Küche nach Osten hin, denn Morgensonne bringt Freud und Wonne, dazu der Blick auf den Garten, da blüht und grünt es im Sommer, da hört man morgens die Vöglein zwitschern, dort spielen die Kinder. Wohnen im Grünen, leben in geräumigen Wohnungen mit zwei Stuben, zwei Schlafzimmern, Küche, Hofraum, Garten und Gemeinschaftsräumen. Ein Paradies auf Erden, gefördert vom Staat, mitfinanziert von den Mitgliedern der Genossenschaft, umgesetzt durch Architekten wie zum Beispiel Paul Mebes.

Wen wundert es, dass innerhalb von nur 23 Jahren 57 Ringöfen am Ort standen. Der Herr der Ringöfen, Friedrich Eduard Hoffmann, der die technischen Voraussetzungen für die Herstellung des Baumaterials seiner Zeit schuf: War er ein Ingenieur, ein Erfinder, ein Industrieller oder aber ein verrückter Spinner, eine Raupe Nimmersatt, ein Ausbeuter vielleicht? In jedem Fall hat er mit seiner Erfindung die Herstellung von Ziegeln optimiert: reduzierte Brenndauer und Rückgang des Kohleverbrauchs zum Befeuern der Öfen um zwei Drittel. Genügend Ziegel für die Metropolen, das hatte Hoffmann mit seiner Erfindung möglich gemacht.

Das Grab der Familie Hoffmann auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof an der Chaussestraße in Berlin-Mitte ist eines der prächtigsten überhaupt: ein Tempel der Eitelkeit über den Tod hinaus? Seine Frau Bertha Luise Amalie geb. Flügel verließ ihren Mann gut zwei Jahre früher. Friedrich Eduard Hoffmann starb am 3. Dezember 1900, dem Jahr der Weltausstellung in Paris, dem Anbruch des neuen Jahrhunderts, das schon die Ideen Einsteins in sich trug, das die Ideen des Kommunismus zu verwirklichen suchte, das die faschistische Barbarei gebar und die Welt spaltete und wieder vereinte. Ein Jahrhundert der Tat also, vorbereitet durch die Generation Hoffmanns.

Erfindungen dieser Zeit wurden auf den Weltausstellungen der Öffentlichkeit vorgestellt: 1855 die Erfindung der Espressomaschine in Paris, 1862 die Erfindung der Nähmaschine in London, 1876 die Erfindung des Telefons in Philadelphia, 1878 die Erfindung des Eisschranks in Paris, 1893 die Erfindung des Reißverschlusses in Chicago und 1900 die Erfindung der Rolltreppe und des Oberleitungsbusses in Paris. Doch die Erfindung des Ringofens, die 1858 patentiert wurde, sucht man in dieser Liste vergebens.

Er begehrt mein, so will ich ihm aushelfen; er kennet meinen Namen, darum will ich ihn schützen; er rufet mich an, so will ich ihn erhören. Ich bin bei ihm in der Not; ich will ihn herausreißen und zu Ehren machen. Ich will ihn sättigen mit langem Leben und ihm zeigen mein Heil.“ (Psalm 91 V. 14 – 16.)

Ein gottesfürchtiger Mann war der Erfinder. Er hat auf Gott gebaut, ER hat ihn beschützt; er hat Gott angerufen, ER hat ihn erhört. Gott riss ihn heraus aus seiner Not und machte Hoffmann zu einem bedeutenden Mann. Noch heute spürt man das, und dies nicht nur, weil auf dem Grab unter seinem Namen „Psalm 91 V. 14 – 16.“ zu lesen ist. Das Grab - ein Kunstwerk, in dem sich nicht das Leben des Toten, nicht der Glanz seiner Person sondern derjenige Gottes wiederfindet. Man konnte sich vom Leben nur ein glückliches Schicksal erhoffen, wenn man auf Gott baute. Dann war Gott gnädig, wählte aus und belohnte mit guten Einfällen, wichtigen Erfindungen, den richtigen Erkenntnissen. Und dies bezeugt das Grab noch heute, allerdings nicht ohne Brüche: „Vier liebe Kinder, die dem Scharlach zum Opfer fielen, bedeckt dieses Grab: Agathe, Eda, Fritz und Hans.“.

Scharlach, der Kindstod, der erst sehr spät durch Penicillin geheilt werden konnte - erst im 2. Weltkrieg entwickelten die Amerikaner ein Verfahren, Penicillin in großen Mengen herzustellen - und der den Dichter Friedrich Rückert 1833/34 dazu veranlasste, in Gedenken an seine beiden an Scharlach gestorbenen Kinder 428 Kindertotenlieder zu schreiben. Am Grab des Erfinders ersetzt der Hinweis auf den Psalm die Totenlieder : „Gilead ist mein, Manasse ist auch mein und Ephraim ist die Macht meines Haupts, Juda ist mein Fürst.“ (Psalm 108).

Nicht nur Hoffmann, der Erfinder des Ringofens, auch seine Kinder waren ihm ein Gnadenakt des einen, großen, lieben Gottes. So wurde dem Tod nicht der Schrecken und die Trauer genommen, sondern ein Sinn gegeben. Damit konnte man sich trösten. Das Grab - vielleicht ein sichtbares Bild für das alte Bild der Menschheit? Typisch für den Erfinder: Sein Grab leuchtet weiter bis in die Gegenwart, legt Zeugnis ab vom neuen Bild der Menschheit von sich selbst.

© Günter Opitz-Ohlsen, März 2008

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