Ich habe kein Geld für eine eigene Wohnung. Deshalb lebe ich zur Untermiete bei einem Hartz IV Empfänger. Er braucht meine Euros, um in seiner alten Wohnung bleiben zu können. Die Miete hat der private Investor um dreißig Prozent erhöht. Das hätte unweigerlich dazu geführt, dass mein Untervermieter von Amts wegen aus der Wohnung geworfen worden wäre. Der deutsche Steuerzahler kennt in solchen Fällen kein Pardon und lässt Recht vor Gnade walten. Mein Vermieter heißt Schröder, mit Vornamen Oswald. Er ist ein netter Kerl und hat sich längst an meine Eigenheiten gewöhnt. In seiner Drei-Zimmer-Wohnung wäre noch ein Zimmer für einen Untermieter frei, hat er zu mir gesagt.

Ich glaube, der Oswald hat mich nur genommen, weil ich einen Schrankkoffer besitze. Da passt alles rein, was ich zum Leben brauche. Meine Kleidung hängt gut sortiert auf einer Kleiderstange. Zuerst die Hemden, dann die Pullover, die Hosen und die Jacken. In zwei kleinen Fächern an der linken Innenwand des Koffers sind meine Strümpfe und meine Unterwäsche verstaut. Zusätzlich habe ich eine Bestecklade und ein Geschirrfach eingebaut. Die Utensilien für meine Körperpflege verwahre ich in einem Kulturbeutel, der an einem Haken an der rechten Schrankinnenwand hängt, auf. Ein kleines Fach aus Sackleinen habe ich noch zusätzlich angebracht, für meinen Tablet-PC angebracht. Ganz unten im Koffer sind zwei Schubladen für Schuhe und Schuhputzzeug. Ich trage ein Paar Schuhe im Winter und ein Paar Schuhe im Sommer.

Der PC ist sehr wichtig für mich. Denn in ihm ist meine Bibliothek gespeichert. Ich lese sehr viel. Für Bücher wäre in meinen Schrankkoffer nicht viel Platz. Deshalb habe ich mir dies flache Gerät gekauft. Ich lese, während ich abends den Parkplatz bewache. Das sind für mich im Monat 200 Euro. Die Miete beträgt 150 Euro und meine Rente ist letztes Jahr um ein Prozent angehoben worden. Sie beträgt inzwischen 389 Euro. Ich bin 69 Jahre alt und habe vor zwei Jahren meine Frau verloren. Weil es keine Witwerrente mehr gibt, bin ich auf den Zuverdienst angewiesen. Als meine Frau von mir gegangen ist, habe ich mir überlegt, ein Zimmer zu mieten. Die Miete für meine alte Wohnung wollte das Amt nicht mehr zahlen. Also bin ich zum Schröder gezogen. Der hat sich bestimmt gedacht, dass er mich sofort kündigen könnte, weil ich ja aus dem Koffer lebe.

Mein Leben dümpelt vor sich hin. Hätte ich die Bücher nicht, würde ich schon längst unter der Erde liegen. In der letzten Zeit breitet sich in mir eine zunehmende Unruhe aus. Das liegt an den Koffern.

Ich bewache einen Parkplatz. Dies habe ich bereits erwähnt. Eines Abends geschah es, dass ich dort einen Koffer stehen sah, der mutterseelenallein in der Mitte des Platzes stand: einen Reisekoffer mit Rollen. Was mag in dem Koffer wohl drin sein, habe ich mich gefragt. Man hört ja schließlich allerhand in den Nachrichten, über verwaiste Koffer auf Bahnsteigen zum Beispiel. Da könnte Sprengstoff drin sein, war meine Schlussfolgerung. Ich also zum Telefon und die Polizei angerufen. Die sind dann auch direkt gekommen, mit Notarztwagen und Feuerwehr. Ein Mann mit einem Sprengschutz vor dem seinem Körper hat einen Roboter auf zwei Rädern den Koffer untersuchen lassen. Nichts. Das war das einzige Wort, was er sagen konnte. Der Koffer stand immer noch an derselben Stelle. Der Mann zog ein Mobiltelefon aus einer Tasche und sprach mit jemandem am anderen Ende der Leitung. Leider konnte ich es von meinem Posten aus nicht verstehen. Keine fünf Minuten später kam ein gepanzerter Wagen angefahren und hielt einen Meter vor dem Koffer. Eine Parabolantenne konnte ich auf dem Wagendach erkennen. Sie drehte sich. Da ist bestimmt ein Röntgenscanner drin, dachte ich, und so war es auch. Der Koffer wurde durchleuchtet und jetzt raten sie mal, was der Mann im Panzerwagen den anderen laut zurief? Genau! Nichts! Ein leerer Koffer also.

Danach sind alle wieder abgezogen. Nur zwei Polizisten blieben zurück und nahmen meine Personalien auf. Wozu, fragte ich. Fürs Protokoll, bekam ich zur Antwort. Sie können den Koffer nehmen. Dann zogen auch sie ab. Ich habe den Koffer in mein Wachhäuschen gestellt. Neugierig war ich nicht, aber ich habe mich an die Kofferversteigerungen der Bahn erinnert. Dort bin ich manchmal mit meiner Frau hingegangen. Wir fanden es sehr unterhaltsam, wie die Menschen Koffer ersteigerten, deren Inhalt sie nicht kannten. Nach der Ersteigerung wurden die Koffer vor den Augen aller aufgemacht. Das war der Moment der Wahrheit immer gemischt mit Enttäuschung und Freude. Meinen Koffer habe ich schließlich im Fundbüro abgegeben.

Drei Wochen später erhielt ich ein Schreiben. Der Polizeipräsident schickte mir eine Rechnung für den Einsatz. 4.500 Euro sollte ich zahlen. Woher soll ich das Geld nehmen. Ich schrieb also zurück und schilderte dem Polizeipräsidenten meine finanzielle Lage. Aber der ließ sich nicht auf meine Notsituation ein. 4.500 Euro oder Pfändung. Ich habe sofort Privatinsolvenz angemeldet. Jetzt habe ich erst einmal Ruhe und muss 60 Monate lang 75 Euro an den Polizeipräsidenten zahlen. Damit ist meine Grundversorgung gesichert. Sie beträgt jetzt ca. 364 Euro im Monat.

Aber das ist nicht alles. Natürlich hat mich das sehr aufgebracht. Ich habe schließlich nur meine staatsbürgerliche Pflicht erfüllt. Wem das aber auf diese Weise gedankt wird, der wird sehr vorsichtig sein. Ich habe dazu gelernt. Neulich sah ich einen Koffer auf einem Bahnsteig stehen. Ich habe mich umgedreht und bin gegangen. Den allein stehenden Koffer an den Schließfächern einer Bank habe ich ebenfalls ignoriert. Ich habe mich selbst konditioniert. So sagt man in der Verhaltensforschung, wenn ein Schlüsselreiz eine gewisse Handlung auslöst. Wenn der Hund die Glocke hört, dann fließt ihm der Speichel aus dem Mund. Wenn ich einen Koffer sehe, dann denke ich an die 4.500 Euro, die ich zahlen muss.

Ich muss noch 55 Monate lang zahlen. Weiß gar nicht, ob ich das überleben werde. Das alles funktioniert schließlich nur, weil ich den Job als Parkplatzwächter habe. Ob der Parkplatzinhaber mich noch als Siebzigjährigen beschäftigt, ist sehr unwahrscheinlich. Dann fehlen mir auf einmal 200 Euro und ich müsste mit 114 Euro um die Runden kommen. Das ist entschieden zu wenig.. Auch wenn ich nur Kartoffeln esse. Die Lebensmittelpreise steigen jährlich um ca. sieben Prozent, obwohl die Inflationsrate insgesamt nur 2,9 Prozent beträgt. Wie ich das überleben soll, ja, ehrlich gesagt, kann ich mir nicht vorstellen. Vielleicht frage ich den Schröder. Der hat bestimmt eine gute Idee.
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